Mama hat keine Zeit...
Seid ihr «busy»? Dann vergeudet eure Zeit nicht damit, euch darüber zu beklagen! Das Rezept gegen die Kultur des «Zuviel-Tuns» als Statussymbol.
Lassen
 Sie mich als Erstes klarstellen: Der hier angeführte Zeitmangel und die
 damit einhergehenden gesellschaftlichen Schwierigkeiten betreffen vor 
allem Frauen. Nein, falsch. Mütter. Es ist die alte Leier: Trotz 
etlichen modernen Werkzeugen, um Zeit zu sparen – man denke an die 
Waschmaschine, Mikrowelle und Skype – haben wir immer weniger Zeit. 
Erwerbstätige Mütter hören sich an wie amtierende Premierminister eines 
G8-Landes: «Ich schaffe das nicht alles. Meine Kinder brauchen Schuhe, 
ich kann den Kinderarzttermin für die Zeckenimpfung unmöglich schon 
wieder verschieben, das Unkraut muss endlich gejätet werden, meine 
Freundinnen beschweren sich, mich schon lange nicht mehr gesehen zu 
haben, mein Artikel ist noch lange nicht fertig und morgen kommen meine 
Schwiegereltern zum Abendessen!» So oder ähnlich klagen viele Mütter in 
meiner näheren Umgebung. Mich eingeschlossen.
Dieses
 Gefühl, wir Mütter – vor allem Alleinerziehende - hätten nie Zeit, ist 
aber eben nicht nur ein Gefühl, es ist wissenschaftlich belegt. Es 
dauerte zwar Jahrzehnte, aber heute sind sich Wissenschaftler einig,
 dass Mütter mehr tun als Väter. Unter anderem, weil Kinder und Haushalt
 nicht mehr als «Freizeit» erachtet werden. Halleluja!
Viel getan und nichts erledigt
Als
 die Journalistin Brigid Schulte 2010 also von einem 
Zeitmanagement-Spezialisten darauf aufmerksam gemacht wurde, dass Frauen
 heute eigentlich enorm viel freie Zeit hätten – nämlich 30 Stunden pro 
Woche – war ihre Reaktion «als hätte man mir eins mit der Pfanne 
übergebraten!»
Denn,
 als typische erwerbstätige Mutter, jonglierte sie tagein, tagaus ihren 
Job, die Kinder, den Haushalt und hatte trotzdem immer das Gefühl, 
nichts auf die Reihe zu kriegen. Der Tag hatte einfach nie genug 
Stunden. Die Tatsache, dass auch Freundinnen und Bekannte über diesen 
Zeitmangel klagten, liess sie aufhorchen. Sie begann, diesem Zustand 
einen Namen zu geben: «The Overwhelm» (deutsch: Die Überhäufung, 
Überschüttung). Nach drei Jahren Recherche und Interviews mit 
Wissenschaftlern und Zeitmanagement-Experten, nannte sie dann auch ihr 
Buch «Overwhelmed: Work, Love and Play. When No-One Has the Time». Die 
Mischung aus populär-wissenschaftlicher Studie und 
Zeitmanagement-Ratgeber rüttelt wach in einer Gesellschaft, in der 
Zeitmangel zum guten Ton gehört.
Wer gewinnt den Zeitmangel-Wettlauf?
Es
 gibt in dieser Gleichung drei Bösewichte, die es zu besiegen gibt: 
Unsere Jobs, unsere Erwartungen und uns. (Wobei hier erwähnt werden 
muss, dass in den USA im Vergleich zu anderen zivilisierten Ländern 
erwerbstätige Mütter schlechter dastehen. Amerika kennt keine gesetzlich
 bezahlten Ferien oder gar Mutterschaftsurlaub.) Die ideale 
Mitarbeiterin ist also dauerpräsent. Zurück in unseren Breitengraden ist
 die Erwartungshaltung trotz besserer Konditionen übrigens dieselbe: Nur
 eine anwesende Angestellte ist eine gute Angestellte. Den Arbeitsplatz 
zu verlassen, weil das Kind krank ist oder der Klempner ins Haus 
gelassen werden muss, ist auch bei uns ein absolutes No-Go. Auch wenn 
das Versäumte abends zu Hause nachgeholt wird. Arbeitszeit soll 
gefälligst am Arbeitsplatz stattfinden. Dies, obwohl auch hier längst 
bekannt ist, dass niemand länger als sechs bis acht Stunden wirklich 
produktiv sein kann. Natürlich besteht diese Haltung auch Männern 
gegenüber. Jeder frisch gebackene Vater, der schon einmal versucht hat, 
kürzer zu treten weiss, dass man ihn sofort als Weichei abstempelt, der 
seine Karriere nicht vorantreiben will. Oder er wird verdächtigt, unter 
dem Hammer seiner Frau zu stehen.
Aber
 es sind nicht nur die herzlosen Arbeitgeber schuld an unserem 
angeblichen Zeitmangel. Schulte nennt es den «Altar der Überabeitung», 
dem wir alle huldigen. «Ich habe mehr zu tun als du» gleicht einem 
täglichen Hahnenkampf/Zickenkrieg, den es ausser Puste zu gewinnen gilt.
 In den Achtzigern waren es die Solariumbräune und die Beschaffenheit 
der Visitenkarte – Sie erinnern sich an «American Psycho»? Heute 
konkurrieren wir mit dem Thema Zeit. Keine zu haben, beweist nicht nur, 
dass wir einen Job haben. Wir haben eine Karriere. Und im Zeitalter von 
Projekt-Kindern, gilt das für uns Mütter eben doppelt.
«Seien Sie eine Schlampe!»
Wir
 müssen uns also entscheiden: Entweder wir wollen den Wettbewerb 
gewinnen und erledigen tausend Dinge täglich, um uns dann bei Freunden 
zu beklagen, man habe einfach keine Zeit für den Apéro. Oder wir setzen 
Prioritäten. Schulte hat in ihrem Buch diesbezüglich auch ein paar 
konkrete Vorschläge:
-   Haushalt: «Seien Sie eine Schlampe!». Schliesslich müsse man auf dem eigenen Küchenboden keine Operation am offenen Herzen vornehmen können.
-   Teamwork: Der Vater MUSS in das Geschehen miteinbezogen werden, ohne wenn und aber.
-  
 Verwandeln Sie Freizeit nicht in Arbeit: Niemand MUSS joggen, ein 
Picknick organisieren oder abends ins Restaurant. Erst, wenn wir in 
unserer Freizeit nur noch tun, was wir wirklich wollen, gilt diese Zeit 
als frei.
-   Ihre To-Do_Liste muss auf einem Post-it Platz finden.
 Alles andere kommt auf eine Langzeit-Task-Liste, die vielleicht nie 
vollends abgearbeitet wird (man denke da nur ans Fotoalbum für die 
Grossmutter oder das alphabetisieren der CDs). Aber was aufgeschrieben 
ist, brummt nicht im Kopf herum.
-   Überdenken Sie Ihre Rolle als Mutter und
 konzentrieren Sie sich auf die wichtigen Dinge: «Lieben Sie Ihre 
Kinder. Sorgen Sie für Ihre Sicherheit. Akzeptieren Sie sie so, wie sie 
sind. Dann lassen Sie sie in Ruhe.»
-   Hören Sie mit dem Multitasking auf! Unterteilen Sie Ihre Zeit, inklusive Pausen und erledigen Sie Eines nach dem Anderen.
-   Setzen Sie sich täglich nur ein Ziel.
Natürlich
 spricht auch dieses Buch – wie viele andere Ratgeber - lediglich Mütter
 und Väter der Mittelklasse an, die zwar einen gut bezahlten Job ausüben
 dürfen, sich aber dennoch keine Nanny oder Assistentin leisten können, 
um ihnen Arbeit abzunehmen. Dennoch, einen Punkt sollten Sie gleich 
heute von Ihrer To-do-Liste streichen: Über Zeitmangel klagen.
Text erstmals auf clack.ch erschienen.
 


Kommentare
Kommentar veröffentlichen